Wie Wirkt Sich die Corona-Krise auf Luxemburgs Ökonomie im Jahre 2020 aus? Namhafte Ökonomen nehmen Stellung
Dieser Artikel von mir wurde am 04.04.2020 im Luxemburger Wort publiziert (pdf hier). Ich habe mit einer Reihe von Luxemburger Ökonomen zusammen mögliche Zukuftszenarien für Luxemburgs Ökonomie diskutiert. Der Artikel hier ist eine Übersicht über unsere Meinungen oder Erwartungen. An dieser Stelle bedanke ich mich nochmals herzlich bei allen Ökonomen, die an diesem Artikel mitwirkend waren. Vielen Dank auch an die, die ich namentlich nicht nennen durfte, weil deren Institutionen eine offizielle Stellungnahme nicht erlauben. Herzlichen Dank auch an Pierre Leyers vom Luxemburger Wort für seine redaktionellen Hilfen.
In Zeiten wie diesen ist es entscheidend zu analysieren, welchen Einfluss die Coronakrise auf Luxemburgs Wirtschaft haben könnte. Aus diesem Grunde habe ich mit einer Auswahl von namhaften Luxemburger Ökonomen zwei Szenarien durchdacht, um auf drei wichtige Fragen Antworten zu geben. Die meisten Ökonomen sind Professoren an der Uni Luxemburg. Einige Ökonomen kann ich leider nicht namentlich nennen da diese in höheren Positionen an Institutionen arbeiten, die keine offizielle Stellungnahmen erlauben.
In diesem Artikel gehen wir von zwei potenziellen Szenarien aus. Das erste Szenario nennen wir das milde Szenario (MS). Darunter verstehen wir, dass die Pandemie ihr Maximum gegen Ende April erreicht, graduell die Quarantäne abgebaut wird, und die Wirtschaft ab Juni wieder fast normal läuft. Das zweite Szenario ist das gravierende Szenario (GS). Hier nehmen wir an, dass die Pandemie für einige Zeit noch weiter geht, weil die Nachbarländer weniger starke Quarantänemassnahmen durchgesetzt haben, oder weil der Virus mutiert, oder weil die Immunität nicht lange anhält. Anhand dieser beiden Szenarien haben wir folgende Fragen diskutiert.
Wie wirkt sich die Coronakrise auf Luxemburgs Ökonomie im Jahre 2020 aus?
Es gibt momentan noch keine offizielle Schätzung von Statec zum Einfluss der Coronakrise. Jedoch kann man einige Parallelen zu anderen Ländern ziehen. Luxemburg ist ein extrem offenes, kleines Land. Ungefähr 90% des Handels findet innerhalb Europas statt, insgesamt 70% mit den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Belgien. Professor Pieretti und Bertinelli heben hervor, dass es genau dieser Grund ist, der den Krisenverlauf in den Nachbarländern auch entscheidend für Luxemburg macht.
Die ifo Prognosen für Deutschland im Jahre 2020 sind minus 6% Wachstum in Szenario MS, oder von minus 10 bis minus 20 Prozent (im Extremfall) im GS. Die deutschen Wirtschaftsweisen sehen die Coronakrise nicht ganz so schlimm: sie erwarten, dass Deutschlands Ökonomie dieses Jahr um 2,8 Prozent schrumpft, im schlimmsten Fall um 5,4 Prozent. Im Durchschnitt erwarten die Luxemburger Ökonomen, die Zahlen gegeben haben, im Jahre 2020 ein Wirtschaftswachstum in Luxemburg von 0,25 Prozent fürs Szenario MS, und -2,4 Prozent im Szenario GS. Für die Arbeitslosigkeit wird nur ein leichter Anstieg von jetzt 5.3 Prozent auf 6,2 Prozent im Szenario MS erwartet, aber 8,1 Prozent im Szenario GS.
Während der Stabilitätspakt, besonders die Unterstützung für die Kurzarbeit, die Staatsverschuldung im Szenario MS zwar erhöht aber noch unter Kontrolle hält, sieht dies im Szenario GS schon fragwürdig aus. Dieses Maß an Unterstützung kann nicht auf längerer Frist aufrechterhalten werden. Laut Professor Picard kommen dazu noch Einbußen in der Einkommensteuer und der Steuereinnahmen auf Grenzwaren wie Benzin und Zigaretten, was auch nicht unterschätzt werden darf. Professor Bourgain erwartet auch Einbußen von bis zu 60 Prozent in den Steuereinnahmen beim Finanzsektor, was vergleichbar wäre mit den Verlusten in der Finanzkrise 2008.
Professorin Lee (ISEC) geht davon aus, dass im Szenario MS bis Mitte des Jahres ein Einbruch im Wachstum stattfinden wird, aber ein Catching-up Prozess in der zweiten Jahreshälfte den Großteil der Verluste wieder kompensiert. Auch Professor Bourgain geht eher davon aus, dass diese Krise kurzfristig sein wird, da keine reellen Werte zerstört werden wie durch eine Naturkatastrophe oder Finanzkrise. Es werden also wirtschaftliche Leistungen nur temporär ausgesetzt. Professor Zou erwartet, dass durch die Umstellung aufs Home Office sehr viel Produktivität verloren geht, besonders jetzt in Kombination mit Home Schooling. Nach Schätzungen könnte dies das Wirtschaftswachstum nochmal um bis zu zwei Prozent drücken. Ein so starker Rückgang benötigt jedoch signifikante Produktivitätsverluste von mehreren Monaten.
Das große Problem wäre, wenn sich das Szenario GS bewahrheiten würde. Professor Bertinelli und Lee heben beide hervor, dass vor allem die kleinen und mittelständigen Unternehmen auf längere Frist nur durch sehr hohe finanzielle Unterstützung des Staates im künstlichen Koma gehalten werden können, ansonsten würde es zu Schließungen von ganzen Sektoren kommen. Dies gilt weniger für den Servicesektor als für die Industrie. Weil die Quarantänemassnahmen in Luxemburgs Nachbarländern verglichen mit Luxemburg erst später angefangen haben, muss man dort außerdem mit einer längeren Quarantänedauer rechnen als in Luxemburg. Dies hat, laut Professor Pieretti, dann einen entscheidenden Einfluss auf ob und wie man Pendler in Luxemburg arbeiten lässt. Weiterhin ist Luxemburgs Ökonomie stark abhängig von den Fonds. Wir befürchten hier, dass die Asset Values vom allem im Szenario GS auch auf längere Dauer stark schrumpfen werden. Obwohl nur 10% der Arbeitnehmer direkt im Finanzsektor arbeiten, ist dieser doch einer der flexibelsten Sektoren, was bedeutet, dass dort auch ziemlich kurzfristig schon mit einer erhöhten Anzahl von Arbeitslosen zu rechnen ist.
Professor Löhndorf und Professorin Lange (Logistik und Supply Chain Management) heben noch hervor, dass die Netzwerkeffekte entlang der Lieferketten nicht absehbar sind, weder von der Politik noch der Betriebe selbst. Die entscheidende Frage ist, ob die Unternehmen eher höhere Sicherheitsbestände aufbauen werden, um Lieferengpässe zu vermeiden, oder ob sie das Gegenteil tun, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Solange die Regierung genügend günstige Liquidität zur Verfügung stellt, können Unternehmen auch Puffer aufbauen. In diesem Zusammenhang ist eine internationale Kooperation unabdinglich, denn ein Großteil der Lieferketten geht über Luxemburg hinaus.
Wie beeinflusst die Krise Luxemburgs Wirtschaft 2021-23?
Alle Professoren sind sich eigentlich einig, dass vor allem im Szenario MS der Einfluß auf die Ökonomie nicht über das Jahr 2020 hinausgeht. Man wird jedoch nicht erwarten können, dass China wieder ein ähnlicher Wachstumsmagnet wird wie nach der Finanzkrise. Deshalb ist es entscheidend, dass die Regierung nicht einem Protektionismus à la Trump verfällt, sowie nicht zu schnell zu einer restriktiven Fiskalpolitik zurückkehrt.
Professor Zou sieht auch Chancen für Luxemburg durch diese Krise. Insbesondere erwartet er, dass verschiedene Branchen, vor allem der Servicesektor, so langsam den Vorteil vom Home Office erkennen und auch in Zukunft verstärkt nutzen werden. Dies würde die Transportinfrastruktur entlasten, zu weniger Staus führen und zu einer geringeren Luftverschmutzung. Hierzu müsste aber die 19-Tage Regelung für Grenzgänger sehr freizügig gelockert, weil ansonsten keine weitreichende Umstellung aufs Home Office, zumindest für Grenzgänger, möglich ist.
Durch Luxemburgs internationale Ausrichtung sind die Lieferketten, zumindest im Szenario GS, entscheidend. Professor Löhndorf und Professorin Lange stellen fest, dass Luxemburg fest in europäische Lieferketten eingebettet ist und wir daher in besonderem Maße auch von der Lage in unseren Nachbarländern beeinflusst sind. Die Regierung wird gefordert sein, mit gezielten Investitionen die luxemburgische Wirtschaft zu unterstützen. Dies ist zwar schon teilweise der Fall, aber nur internationale Kooperation kann hier auch die Lieferketten auf längere Dauer aufrechterhalten.
Falls das Szenario GS nun Wirklichkeit wird und Luxemburg über einen langen Zeitraum finanzielle Unterstützung bereitstellen muss, dann werden auch Möglichkeiten diskutiert werden müssen wir Verstaatlichungen von Unternehmen, besonders um internationale Aufkäufe von anfälligen Unternehmen zu vermeiden. Auch hier weisen wir wieder auf die Wichtigkeit von internationaler Kooperation hin.
Durch die hohen Kosten im Szenario GS sehen Professor Bertinelli und Professorin Lee deshalb die größten Probleme im erhöhten Verschuldungsgrad der Länder. Während dies eher kein Problem für Luxemburg oder Deutschland sein wird, sieht dies anders aus für Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien. Hier darf man auf keinen Fall den indirekten potenziellen Schaden auch für Luxemburgs Finanzsektor unterschätzen, da viele Firmen auf die hohen Ratings der europäischen Staaten angewiesen sind. Jedoch ist natürlich eine wichtige Frage, wie Luxemburg die erhöhten Staatsschulden über die nächsten Jahre wieder abbauen wird.
Welche Sektoren werden am stärksten betroffen werden?
Alle Professoren erwarten, dass der Tourismussektor, Restaurants und Bars, sowie kleine Geschäfte und besonders Luxair am stärksten betroffen sein werden und nur direkte finanzielle Unterstützung kann diese Sektoren retten. Weniger stark werden der Banksektor und die Industrie betroffen werden.
Professor Picard erwartet, vor allem im Szenario GS, eine stark erhöhte Arbeitslosigkeit bei den Pendlern. Die staatliche Unterstützung kann nur unter sehr hoher Neuverschuldung für länger als zwei Monate so weitergeführt werden wie jetzt geplant. Wenn also das verschärfte Szenario wirklich eintritt, dann werden die kleinen und mittelständigen Unternehmen extrem zu kämpfen haben. Dies wird dann die Pendler am stärksten treffen.
Professorin Lange stellt fest, dass Unternehmen Lieferengpässe durch Vorräte überbrücken können. Aber eine gute Vorhersage der Kundennachfrage ist in Krisenzeiten besonders herausfordernd. Die derzeitige Situation führt uns die Notwendigkeit robuster und resilienter Lieferketten klar vor Augen. Es wird sich zeigen, inwieweit diese Erfahrungen wirtschaftliche Entscheidungen in der Zukunft beeinflussen werden. Professorin Lee erwartet, dass die Krise auch Strukturwandel hervorrufen wird, was besonders in einem dynamischen Land wie Luxemburg von Vorteil sein kann. Um jedoch all diese Fragen zu beantworten, ist es wichtig, dass die Regierung auch weiterhin klar und informativ die Gesellschaft informiert – nicht nur über Luxemburg, aber auch über die Situation in den Nachbarländern.
Zum Abschluss noch einige direkte Überlegungen zur Rolle der Regierung. Professor Picard findet, dass in Luxemburg momentan eine tiefgreifende Diskussion fehlt, die alle Akteure an einen Tisch bringt. Hier reden wir von der Wirtschaft, von der Politik, von der Forschung sowie von den Arbeitnehmern. Wir benötigen Szenarien, was dieser Artikel zumindest ansatzweise versucht hat, um Informationen über die mögliche zukünftige Entwicklung in Luxemburg zu liefern. Die Regierung muss Firmen besser informieren, was sie von diesen erwartet, was diese machen können, um ihre Verluste zu minimieren, und wie diese auf die verschiedenen Szenarien reagieren sollten. Dazu sollten Firmen aller Sektoren der Regierung kontinuierlich Rückmeldung geben, wie ihre Situation sich gerade entwickelt.
Schlussendlich finden wir, dass der luxemburgische Stabilitätsplan (das 8,8 Milliarden EURO Hilfspaket) in die richtige Richtung geht. Jedoch muss die Regierung auch Vorbereitungen für das gravierende Szenario treffen und diese so schnell es geht öffentlich machen. Die Firmen und Einwohner müssen eine Vorstellung bekommen, was sie erwarten wird. Die Anzahl der Sicherheitsbestände, wie die Lieferketten aussehen werden, ob Firmen weiterhin ihre Arbeitnehmer beschäftigen können, wie sich die Nachfrage entwickeln wird, all dies sind Informationen, die man braucht, um jetzt schon die kostengünstigsten Entscheidungen für später zu treffen. Dazu müssen die Steuerzahler informiert werden, wie nach der Krise mit der erhöhten Staatsverschuldung umgegangen werden wird. Wenn alles gut läuft dann wird diese Krise nicht lange dauern, sie wird aber den Luxemburger Staat, Einwohnern und Unternehmen einiges kosten, und nur ein hochgradiges Maß an nationaler und internationaler Kooperation und Solidarität kann die Kosten niedrig halten.